Mysterium des roten Weihers

Ein rot gefärbter Weiher ist nach wenigen Stunden wieder normal gefärbt und am nächsten Tag wieder rot. Diesem Mysterium sind wir auf die Schliche gekommen

Im Natur- und Tierpark Goldau wurde in der neu erstellten Storchenanlage auch ein neuer Weiher angelegt. Im Sommer darauf färbte sich dieser kräftig rot. Das kann es durchaus geben, bekannt sind ja die Blutseen in den Alpen.

Mysteriös wurde es, als drei Stunden später der Weiher plötzlich wieder «normal» grün-blau aussah. Ein so schneller Farbwechsel eines ganzen Gewässers ist doch sehr unüblich. Aus Neugier wurde eine Wasserprobe entnommen und mikroskopisch untersucht. Es stellte sich heraus, dass es Augenflagellaten (Euglenophyceae) sind, welche zu den Algen gehören. Die in der Probe massenhaft vorhandene Art war Euglena sanguinea (Rotes Augentier), ein Einzeller, welcher mit dem Vorhandensein von Hämatochromkörnchen (rötlicher Farbstoff Astaxanthin) natürlicherweise rot gefärbt ist (siehe Blog-Beitrag: Algen – ein Partyknaller). Wenn sie aktiv sind, haben sie eine länglich-ovale Form, inaktiv rollen sie sich kugelförmig zusammen. Je nach Zustand waren diese Zellen um 30 bis 100 Mikrometer gross. Sie weisen einen Augenfleck auf, der auf Licht reagiert und eine Geissel zur Fortbewegung. Diese Augenflagellaten-Art ist nicht selten oder gar gefährdet, doch sie kommt auch nicht häufig vor.

Im Buch von August Thienemann («Die Binnengewässer» von Prof. Dr. August Thienemann – Band XVI – «Das Phytoplankton des Süsswassers», 4. Teil von G. Huber-Pestalozzi. Stuttgart 1955) erfährt man mehr über diese Alge. Naturforscher haben beobachtet, dass es bei starker Beschattung einen Farbumschlag von rot nach grün gibt. Die Algen können somit ihre Färbung ändern. Ein Versuch mit künstlicher, starker Beschattung zeigte einen Farbumschlag nach 20 Minuten von rot nach grün. Bei einer Wieder-Besonnung dauerte es sogar nur sechs Minuten, bis die Algenblüte wieder rot war. Zudem können sie bei starkem Regen zeitweise verschwinden, da sie sich abkühlen und sich auf dem Boden sammeln, bis sie bei wärmeren Bedingungen wieder an die Oberfläche zurückkehren. Zusätzlich kann der Blickwinkel noch entscheidend sein. Je nach dem, von wo und in welchem Winkel der Weiher betrachtet wird, erscheint er mehr oder weniger rot. Eine spannende Alge ist sie auf jeden Fall!

Algen – ein Partyknaller

Beim Smalltalk gibt es viele ungeschriebene Regeln und individuelle Verhaltensweisen. Ein unschlagbarer Trick von Gewässerökologen um aus einer Smalltalk-Runde auszusteigen ist es, gnadenlos und aus dem Nichts heraus das Thema auf Algen zu lenken. Das interessiert niemanden und schon bald entfernen sich die Gesprächspartner mit entschuldigenden Worten. Sollte doch einmal jemand zuhören muss man trotzdem ein paar faszinierende Wissensbissen parat haben.

Erfahrungsgemäss generiert das Wort «Algen» eher eine Abneigung. Gemäss einer vor Jahren ausgeführten Google-Analyse wird der Begriff gehäuft im Frühjahr und Vorsommer gesucht. Also zum Zeitpunkt der Veralgungen in Biotopen. Während vor Jahren noch Hinweise zu «Algiziden» als bestes Resultat erschien, so sind heute Definitionen und biologische Erläuterungen wie auch Algen als Lebensmittel und Algen als grüne Energiequelle auf den ersten Positionen. Doch wer glaubt, dass dies ein Sympathiegewinn gegenüber Algen ist, irrt. Auch auf die Wortsuche wie ‚Pandabär‘, ‚Fisch‘ oder ‚Mord‘ kommen als beste Antworten immer die Definitionen und Worterklärungen. Es wurden also bloss der Algorithmus angepasst.

Algen leben nicht nur im Wasser, werden jedoch vor allem als glitschige grüne Suppe wahrgenommen.

Immerhin, Algen sind mehr als nur störende Organismen. Interessant ist nur schon – und dies als geeignetes Thema in der Badi – wie sich Algen vor der Sonne schützen. Je nach Bedingungen und Art bilden gewisse Algen neben dem bekannten Blattgrün (Chlorophyll) noch weitere akzessorische Pigmente. Bekannt sind z. B. die Karotinoide, also gelblich bis rötliche Farbstoffe, wie wir sie von den Rüebli kennen. Dazu gehören die Astaxanthine – Aussprache üben, das macht Eindruck bei den Zuhörern! – welche als UV-Schutz dienen können. So etwa bei Schneealgen (z. B. Chlamydomonas nivalis), welche den sogenannten Blutschnee bilden. Oder die Luftalgen der Gattung Trentepohlia, welche an Mauern, auf grossen Steinen wachsen. Oder gewisse Arten wie die Grünalge Haematococcus pluvialis (Blutregenalge), welche unter schlechten Lebensbedingungen rötlich gefärbte Dauerstadien bildet.

Sollte das Thema Sonnenschutz etwa «austrocknen» und gerade Lachshäpchen serviert werden, Päng!: ein Übergang zur Kulinarik ist ohne Weiteres möglich. Die Astaxanthine sind nämlich verantwortlich für die Rotfärbung der Krebstiere wie Krill, da diese solche rot verfärbte Algen fressen. Auch die zart rosa Färbung des Lachses entsteht dank dem erlaubten Futtermittelzusatzstoff Astaxanthin (2a161j). Die Futtermittelbuch-Verordnung (FMBV, SR 916.307.1) regelt den Einsatz genau. Und woher haben dann die Wildlachse ihre Färbung? Eben, von sonnenbadenden Algen. Und somit nochmals einen Anlauf beim Sonnencreme-Thema.

Marine planktische Algen schützen sich auch vor zu viel Licht. Sie haben aber eine ganz andere, viel komplexere Lösung gefunden. Diese Algen generieren im Wasser einen Stoff, genannt DMSP (Dimethylsulfidpropionat), welcher anschliessend im freien Wasser bakteriell zum gasförmigen Aerosol DMS (Dimethylsulfid) umgewandelt wird. Diese schwefelhaltige organische Verbindung gibt dem Meer den typischen Geruch. Das Gas DMS steigt in die Atmosphäre auf, wird dort oxidiert bis hin zu Schwefelsäure, welche zu Tröpfchen kondensieren, was letztlich zu Wolkenbildung führt. Die Algen sorgen so für Beschattung, vor allem über den Ozeanen der Südhalbkugel. Also mit diesen Ausführungen beeindruckt man an jeder Strandparty!

Ah, da wird Sushi herumgereicht! Also zurück zur Ernährung. Da haben Algen viel zu bieten: Das Nori zur Ummantelung der Reisbällchen beim Sushi ist natürlich eine Alge. Soll auch den Cholesterinspiegel senken. Unglaublich reich an Aminosäuren, Sterolen, Vitaminen und Mineralstoffen ist die marine Braunalge Laminaria japonica. Ihre Blätter können bis 3 m lang werden. Dank den Sterolen (Fucosterol) soll die Art Blutgerinsel (Thrombosen) verhindern. Das Thema ist abendfüllend!

Doch über Algen lässt sich auch mit Energiefreaks und Technik-afinen Personen sprechen. Arten der fädigen Grünalgengattung Cladophora, welche bei uns sehr häufig vorkommt, aber auch andere Algen, enthalten Zellulose. Diese Algen-Zellulose hat grosses Potenzial als Alternative zu Plastik, also als biologisch abbaubare Kunststoffmaterialien. Es können sogar Nanopartikeln gewonnen und High-Tech Filter produziert werden. Das macht natürlich Eindruck, wer hätte das von den Algen gedacht?

Ohne Weiteres schafft man auch den Wechsel vom Dauerthema Klimawandel zu den Algen. Etwa, weil die Algen in den Ozeanen sehr viel Kohlenstoffdioxid (CO2) binden. Geoingeenering ist das Schlagwort, wenn es darum geht, die Meere zu düngen, damit mehr Algen wachsen. Je nach Zuhörerschaft kann man dann die ökonomischen Aspekte – völlige Geldverschwendung! – oder die ökologischen Bedenken – Ökosystemkollaps! – erörtern. Aber Algen als Energielieferanten, sei es für Bio-Diesel, Bio-Ethanol oder Biomasse, werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Hat man schon Algen-Benzin im Tank kann man sich ganz avantgardistisch geben!

Befindet man sich auf einer Kunstausstellung mit einem Publikum mit Sinn für Ästhetik? Auch dann: Algen sind faszinierende Organismen! Einfach schön, zumindest im Mikroskop betrachtet. Ganz attraktiv sind Zieralgen (Desmidiaceen, Desmidiales) oder Kieselalgen (Diatomeen, Bacillariophyceae). Beide Algengruppen zeitlos beliebt als fotogene Sujets bei Mikroskopievereinigungen, aber auch Inspiration bei der Schmuckherstellung und im Zusammenhang mit Architektur ein Hammer.

Aber wenn am Schluss doch noch die Ökologie durchdrückt: Kieselalgen wie auch andere Algen sind bekannte Bioindikatoren. Insbesondere die Kieselalgen sind im Süsswasser indikativ hinsichtlich Abwasser-, Nährstoff-, Salz- und Säurebelastungen. Und das aus Siliziumdioxid bestehende Skelett der Kieselalgen bleibt normalerweise über Jahrhunderte bis sogar Jahrmillionen (Baikalsee) im Seesediment erhalten, so dass mit gezielten Analysen eines Sedimentes die Trophiegeschichte eines Sees über die Zeit rekonstruiert werden kann.

Man sieht gleich: das Thema «Algen» wäre DER Partyknaller! Und doch findet es kaum Anklang. In der Schweiz gibt es ein paar wenige Algologen; viele von ihnen ältere Semester. Die Algen hätten Einiges zu bieten; wenn sie denn auch in den Fokus von Lösungen beigezogen würden. Mit dem Klimawandel werden subtropische Algenarten vermehrt in unseren stehenden Gewässern aufkommen und möglicherweise Probleme bieten. Sei es durch die Massenentwicklungen und/oder durch die Bildung von Toxinen; was die Bade- und Trinkwasserqualität wie auch die Haltung von Nutztieren beeinträchtigen kann. Die Zahl diesbezüglicher Schlagzeilen nimmt jedenfalls zu. Insofern gäbe es noch viele Themen, die nicht Smalltalk-Themen sind, sondern sehr konkrete, ernst zu nehmende Themen. Und von künftiger Bedeutung.

Den Algen selbst ist es egal, etliche werden aussterben, sind schon ausgestorben ohne dass es bemerkt wurde. Andere gebietsfremde Arten profitieren, verdrängen die einheimischen Arten, ohne grosses Aufsehen zu erregen. Wer weiss, vielleicht hilft ja der eine und andere Smalltalk beim richtigen Anlass, um den Algen zu mehr Bedeutung zu verhelfen.